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Leseprobe "Dominikanische Republik verstehen"

Rappelvoll

Leseprobe aus unserem SympathieMagazin »Dominikanische Republik verstehen«

Tante-Emma-Läden sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Hier in der Dominikanischen Republik nennt man sie »colmado«. Das Wort haben die spanischen Eroberer mitgebracht, und es bedeutet so viel wie »rappelvoll«. In Europa wurden die kleinen Lädchen immer mehr durch Supermärkte verdrängt, aber bei uns wäre ein Leben ohne den colmado nicht denkbar. Denn dort findet man in Gehweite nicht nur allerlei Waren des täglichen Bedarfs. Die colmados spielen auch eine wichtige soziale Rolle. Es gibt fast alles, von Schönheitsartikeln über Konserven und Joghurt bis hin zu Putzmitteln. Und zwar auch in winzigen Mengen – gedacht für den kleinen Geldbeutel derjenigen, die keine Kreditkarte haben und jeden Geldschein zweimal umdrehen müssen. Besonders gut sortiert ist das Getränkesortiment, vor allem das alkoholische.

Was im colmado schon beim ersten Blick auffällt, ist, dass es kein freies Plätzchen gibt. Bis hoch unter die Decke stapelt sich die Auslage, vieles baumelt von der Decke oder verstellt den Weg. Auf Fremde wirkt das vielleicht chaotisch und verwirrend. Die Eigentümerinnen und Eigentümer bedienen oft auch selbst, kennen sich bestens aus und wissen genau, wo sie was finden. Deshalb ist Fragen immer die schnellste Lösung, wenn man etwas Bestimmtes sucht. Die Kundinnen und Kunden und die Eigentümer kennen sich normalerweise. Im colmado gibt es daher im Gegensatz zu den Supermärkten auch die Möglichkeit, mal anschreiben zu lassen und erst am Monatsende, wenn der Lohn ausgezahlt wird, die Rechnung zu begleichen.

Die meisten colmados bieten auch Lieferdienste. Eine Aushilfe nimmt per Telefon den Auftrag entgegen und überreicht die Tüte oder den Karton mit der Bestellung dann einem Ausfahrer oder jemandem von einer Lieferdienst-App. Das findet Janet Oliver, Mutter von drei Kindern, besonders praktisch. »Ich habe wenig Zeit, und Einkaufen mit den dreien ist schwierig. Deshalb bestelle ich per Lieferdienst immer die schweren Getränkeflaschen ins Haus.« Auch ältere Menschen nutzen diesen Service gern.

Während der Coronapandemie hatte die Regierung die Schließung der colmados angeordnet, doch diese funktionierten einfach trotzdem illegal weiter. Sie lieferten ihre Waren eben mit Gesichtsmasken. Studien zufolge spielten sie eine wichtige Rolle bei der Grundversorgung der Bevölkerung. »Viele unserer Ausfahrer wurden festgenommen oder mussten Bußgelder zahlen«, erinnert sich Miguel Alcántara, Eigentümer des »Troncoso« in Santo Domingo. »Aber das war uns egal.« Nahm er ursprünglich nur Barzahlungen entgegen, stellte Alcántara in der Pandemie auf elektronische Zahlungsmittel um – eine Modernisierung, die er beibehalten hat.

Viele colmados sind gleichzeitig auch Bars und soziale Treffpunkte. Es gibt Großbildschirme, an denen am Wochenende die Baseballspiele übertragen werden. Dann treffen sich an Plastiktischen vor allem die Männer des Viertels zu einem kühlen Bier oder Rum. Manche spielen auch eine Partie Domino und erzählen sich den neuesten Klatsch. Im colmado wird nicht nur eingekauft. Dort entstehen Freund- und sogar Liebschaften, Filmteams drehen Werbespots und Vorabendserien. Nirgendwo fühlt sich die Dominikanische Republik authentischer an als hier, in diesen unscheinbaren Geschäften um die Ecke.

Text: Mery-Ann Escolástico Fragoso; Bild: Pixabay

 

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